Die Mitglieder der WELCOME-TO-MY-WORLD-Gruppe stellen das Publikum dar. Dabei werden sie von einer Person mit goldenen Haaren als Aufmerksamkeitsspender instrumentalisiert. In der Aufmerksamkeit kommt das eigene Leid zur Geltung. Ich denke an die grün-rosa Heilsteine, die im Esoterikladen in R. Sie hingen an bunten Lederbändern von einem Ast hinge. An diesen Steinen erkannte man magersüchtige, jungen Frauen, die mit geritzen Armen um Aufmerksamkeit baten. In der Klinik, so erzählte man sich, war es verboten, Aufmerksamkeit wegen der Arme zu bekommen. Die Mädchen musste Bänder um die Handgelenke tragen. Ich kann mich nicht mehr erinnern, wer das erzählt hat.
Dafür erinnere ich mich an eine junge Metzgereiverkäuferin, unweit der B-straße, die die Farbstreifen, die irgendwie an meinen Arme gelangt waren, begutachtete und mir ihre geritzen Arme zeigt: same same but different. Ich erkenne kein Ähnlichkeit, nur eine makabere Szene, bei der ich in einer gefließten Metzgerei ein totes Tier auf einem Brot esse.
Episode könnte man eine solche Zeit nennen. Die Episode von D ist durchzogen von suizidalen Äußerungen – bis einer die Polizei ruft. Er schickt eine niederländische Videobotschaft an seinen Bruder. Im nächsten Satz macht er ihm Inzestvorwürfe. Seine englischen Sätze sind schön und stark. Was uns wieder zur Realität bringt, sind Fotos seines dürren Hintern und eines schlaffen Penis in einer Hand. Denke ich an H (RIP), sind die Suizidgedanken (vor allem bei Männern) immer ernst.
Nach dem Frühstück verlasse ich das Haus. Ich betrete die Mall am Potsdamer Platz. Statt einem Lageplan gibt es einen QR-Code, der die Geschäfte verzeichnet. Mit der Suchfunktion finde ich einen Brillenladen. Auf dem Weg quatscht mich eine Frau mit geschminkten Augen auf Englisch an. Sie drückt mir ein goldenes Rabatt-Kärtchen in die Hand, fragt mich nach meiner SkinCare und macht einen entsetzt-vorwurfsvollen Blick, als ich mein kaum vorhandenes Skincare-Programm liste. Dann lockt sie mich in eine drei Quadratmeter langen Schlauch Laden.
Sie reibt eine glitzernde Peeling, mit feinen Magnesiumpartikeln auf meine Hand. Kollagen ist da drin. Dass es Kollagen gibt, weiß ich erst seit zwei Wochen. Kollagen ist oft aus Rindergeleee und soll angeblich die Haut straffen. Dieses Kollagen ist natürlich pflanzlich, wie alles an den Produkten. Langsam fällt das Gefühl, begutachtet zu werden, von mir ab. Ich bin keine gute Kundin. What are you doing in life? Ich erzähle ihr 30 % meines Lebens. 70% lasse ich weg. Eine reduzierte Geschichte gibt eine gute Geschichte ab (anders als bei Skincare).
Ungelenk frage ich auf Englisch, wie es mit den Leuten ist, die auf dem Land leben. Müssen die auch Peelen? Nein, dort gibt es keine Verschmutzung, sagt sie. Ich überlege, ob ein Leben auf dem Land lebenswerter ist als ein Leben in der Stadt, in dem sich wirklich alles zwischen Konsum und Arbeit zu bewegen scheint. Langsam fange ich an, es zu genießen, dass die fremde Frau nun auch mein Gesicht peelt und cremt. Erst die rechte Hälfte, dann die linke – damit ich den Unterschied sehe. Ich sehe nicht besonders viel Unterschied. Sie empfiehlt mir ein Peeling. Und was ist mit der Creme?, frage ich. Die ist nicht so wichtig, aber wenn dann die. Das Englische entfernt das Gesagte so weit von mir, dass ich mich einfach aus der Kaufempfehlung ziehe, auf einen eventuellen späteren Kauf verweise und mich auf deutsch frage, wer so verdammt viel Geld für eine Creme ausgibt, deren Verpackung wahrscheinlich mehr wiegt als ihr Inhalt.
Ich verlasse den langen Schlauch, ohne etwas gekauft zu haben. Mister Spexx finde ich nicht, aber einen andern Brillenladen. Der Verkäufer wechselt zwischen Du und Sie und findet ein sehr schönes Modell für mich. Ich lasse mir die Modellnummer aufschreiben und muss schlucken, als ich sehe, wie teuer gutes Sehen sein soll.